Vom Wind verweht (II)
Abenteuertörn im August 2013 nach Karpathos
Udo Hinnerkopf & Sedat Akmese segelten mit der Sun Odyssey 49 ONEWAY und einer bewährten Crew zur windigsten Insel der Ägäis und sagt hinterher: „Einmal reicht!“
Fortsetzung von Seite 1:
Während unseres Ausflugs nach Olympos hat Skipper Sedat die ONEWAY an die kurze Pier vor Diafani verholt, wo die französische Yacht, die dort bei unserer Ankunft lag, Platz gemacht hat. Der Eigner ist mit seiner Familie seit einer Woche an der Ostküste von Karpathos unterwegs, will aber so schnell wie möglich an die türkische Küste zurück. Sein Kommentar: "Weiter im Süden hatten wir 40 Knoten... the island is not good for sailors!" An Land sei es sehr, sehr schön, aber die Küste sei "too much windy and without save places".
Stamatis ist reumütig und hilft beim Trümmerbergen. Gemeinsam mit Sedat entfernt er den zerlegten Bugkorb und sie ersetzen ihn mit Leinen und Strippen. Er stammelt auch heute immerzu nur "sorry, sorry" wenn er Sedat den Hammer reicht! Langsam tut er uns leid. Männer aus dem Dorf stehen in wechselnder Besetzung auf der Pier und verfolgen den Fortgang der Arbeit. Jeder gibt andere Ratschläge zum besten und bietet Hilfe an. Die Ankerhalterung sollen wir nicht mit der Brechstange gerade biegen, sondern heiß machen, dann gehe das leichter. "Ten minutes!", verspricht ein eifriger Helfer, dann komme jemand mit einem "Flammenwerfer". Nach einer Stunde ist der noch nicht da. Kurz entschlossen greift Sedat zu einer herumliegenden Stange und bringt die Stahlplatten der Ankerkettenführung wieder in Position.
Gegen 14 Uhr schlendert der Hafenplolizist herbei und übergibt uns das Protokoll. Er inspiziert unsere Bugkorb-Improvisation und erklärt die Yacht - dem Gott der Seefahrer sei Dank - für seetüchtig. Nicht auszudenken, wenn er erst einen Sachverständigen herbei beordert hätte. Stamatis verspricht in zwei Tagen mit 1000 Euro in Pigadia, dem Haupthafen im Süden zu sein. Sollen wir ihm das glauben? Da wir keine andere Wahl haben und bis zum Treff noch zwei Tage bleiben, verlassen wir den Ort der Karambolage und segeln bei Windstärken zwischen 25 und 35 Knoten mit gerefften Segeln in Richtung Süden davon.
Schon wenige Seemeilen weiter bietet Gerd Radspielers Hafenführer (Delius Klasing) eine der beiden nur mäßig sicheren Buchten an der Ostseite der Insel als vorübergehenden Tagesankerplatz an: Ormos Makria, im Buch auch Ormos Diafani genannt, erkennbar am auffällig spitzen Nadelfelsen südlich des Ankerplatzes. Da unzählbare Unterwasserfelsen türkis leuchtend warnen: hier besser nicht auflaufen, fällt der Anker mit gehörigem Abstand vor dem Strand auf sauberem Sandboden.
Bei Sonnenuntergang lässt der Wind nach - wir freuen uns auf eine ruhige Nacht. Doch schon kurz nach Mitternacht heult er wieder los. Das Dingi vor dem Mast wird hochgehoben und quer gelegt, alle Decksfenster zugeschlagen. Die Ankerkette ruckt und zerrt, an Schlafen ist kaum zu denken. Sedat und Ulf übernehmen abwechselnd die Ankerwache. Ich hab noch nie so brutale Fallwinde erlebt wie in dieser Nacht. Die türkische Küste hat einiges zu bieten, aber so heftig wie hier ist es dort noch nie gewesen. Es gibt nur einen Begriff dafür: Wutwind!
Das Frühstück im Cockpit fällt entsprechend windig aus. Die Milchtüte kippt um, der Kaffee weht waagrecht aus der Kanne. Die Berge sind nicht übermäßig hoch, eigentlich sieht die Bergkulisse von unten gigantischer aus als sie wirklich ist. Doch fast immer hängt eine schneeweiße Wolkendecke über der Kante und greift mit sich ständig verändernden weißgrauen Wolkentatzen in die Täler hinunter. Aus den Wolken heult der Wind wie von der Tarantel gestochen auf unser an der Kette zerrendes Schiffchen. Wo kriegt der nur den Atem her? Das Phänomen entsteht offenbar durch die Düse zwischen Rhodos und Kreta. Durch die muss er durch, wird aber von der quer liegenden Insel aufgehalten. Das beschleunigt ihn so nachhaltig und lässt ihn - mit kleinen Schwankungen - den ganzen Sommer durchhalten.
An der Ostseite gibt es neben der Hammerbucht südlich von Diafani nur einen zweiten Ankerplatz, der bei Meltemi einigen Schutz bietet: Ormos Amorphos, südlich von Kap Patella, nicht weit vom Haupthafen Pigadia entfernt, und auch nicht weit vom Südende der Insel.
Hier hoffen wir auf weniger heftige Böen, weil die Insel im Süden flacher und damit vielleicht "gemütlicher" sein könnte. Doch es wird die vierte Hammernacht! Gegen drei bergen wir das Bimini, weil es sich aufbäumt wie ein Segel. Amorphos - dein Name ist reiner Hohn! Auf das Abenteuer die Insel Kassos anzulaufen lassen wir uns nach dieser Nacht nicht mehr ein. Kassos bietet noch weniger Schutz als die Ostküste von Karpathos.
Stattdessen steuern wir den Haupthafen Pigadia zum Treff mit dem unglücklichen Stamatis an und machen in dem neuen, "Marina" genannten Becken längsseits fest. Pünktlich um 14 Uhr brettert er mit seinem Kombi auf die Pier und wirft uns eine Tüte frischen Fisch ins Cockpit. Anschließend treffen wir uns bei der Portpolice. Dort wird ihm noch einmal eindringlich klar gemacht, dass - wenn er nicht bezahlt - Pantaenius sein Boot an die Kette legen lässt. Freilich hat er keinen einzigen Euro dabei, verspricht aber bis zum nächsten Morgen um 9 Uhr das Geld aufzutreiben. Einer der smarten Polizisten telefoniert noch rasch mit dem Pantaenius-Agenten in Athen, der den Druck noch erhöht. Mr. Sorry Sorry, so nennen wir den gebeutelten Stamatis inzwischen, zieht mit hängendem Kopf davon.
Am nächsten Morgen um 8 Uhr steht er auf der Pier, kommt in den Salon und zählt uns in kleinen Scheinen tausend Euros auf den Kartentisch. Er schwitzt und will sofort wieder weg, hat wohl Druck wegen seines unversicherten Bootes und will nicht mit zur Portpolice. Ich mache ein Foto von Sedat und ihm. Es ist ein Bild angenäherter türkisch-griechischer Freundschaft, Arm in Arm - trotz Karambolage und ziemlich viel Aufwand und Umstand. Sedat zerknirscht: "Jetzt haben wir ihn ziemlich ausgequetscht!"
Nach allem was passiert ist hat die Crew keine große Lust mehr Karpathos zu umrunden. Der Wind und der Crash nagen an den Nerven. "Wir wollen lieber noch nach Symi!", verkündet Ulf.
Petra und Jan machen noch schnell ein paar Einkäufe, dann legen wir ab und halten nordwärts, obwohl es wieder mit 32 Knoten und in den Böen noch mehr weht. Nach einer knappen Stunde, querab von Kap Vrondi, ist plötzlich Pause. Die Segel schlagen, der Wind ist weg - um kurz darauf mit noch mehr Wucht über uns herzufallen. Jetzt kommt er spitz aus NW. Über den Bergen hängen wieder tiefe Wolkenwalzen, aus denen es wieder herunter brezelt. Keine Chance für eine entspannte Überfahrt nach Rhodos. Das sehen auch Mona und Petra so.
Einige Strände leuchten zwischen den senkrechten Felswänden. Wir hoffen einen guten, nirgendwo beschriebenen Ankerplatz zu entdecken und halten auf den rechts und links mit spitzen, im Wasser stehenden Felsnasen flankierten Strand zu. Mit zum offenen Meer nach Osten hin ausgelegten Anker und zwei langen Achterleinen überkreuz zu den stämmigen Tamarisken am Ufer liegen wir schließlich einigermaßen sicher. Wouh, was für ein Platz! Die Bucht hat keinen Namen, wir beschließen sie erst am nächsten Morgen zu taufen: Hammerbucht 5 oder Bay of Peace, je nach dem. Es weht von hinten kräftig ins Cockpit, aber wir liegen sicher - wenn der Wind nicht auf Ost dreht, was kaum zu erwarten ist.
An der türkischen Küste ist Feuermachen generell verboten. Hier auf Karpathos ist es so kahl und felsig, und die nächsten Pinien stehen so weit weg im Hinterland, dass wir mit Pfanne und Topf, und Bier und Wein im Dingi ans Ufer verholen, Strandholz sammeln und ein Feuer entfachen - die Funken wehen weit aufs Meer hinaus. Es ist unser schönster Abend auf der Insel. Der Wind bringt das Feuer zum Brasseln, das Schweinefleisch im Wok - mit Kartoffeln, Zwiebeln und Weinaufguss gewürzt - schmeckt nach Holz und Rauch, und wir fühlen uns odyseeisch. So muss es schon den alten Griechen hier an den ägäischen Küsten geschmeckt haben.
Zurück an Bord spannen wir die große Persenning über das Cockpit, damit die wachhabenden Oberdeckler Sedat und Ulf nicht davon geweht zu werden. Doch es wird die windige Nacht Nummer 5. Huihuhu huihuhuuuui! macht der Wind. Er faucht so in die Vorluken hinein, dass die Bretterwand zwischen den beiden Kabinen im Böenstakkato zu klappern und zu scheppern beginnt. Das Windverhüterli, die Persenning, nutzt wenig. Der Druck ist zu stark, es weht durch alle Ritzen und Ösen. Wir müssen sie bergen. Und taufen die Bucht Nevercomeback Bay.
Der Sonntagmorgen hilft kräftig beim Wegkommen. Mit 33 bis 35 Knoten und gereffter Segeln rauschen wir auf Rhodos los, beschließen dann aber, weil das hoch am Wind auch noch geht, die nördlicher liegende Insel Thilos anzulaufen. Am späten Nachmittag kommen wir dort bei schlappen 10 Knoten Wind an und legen uns in das geschützte Hafenbecken, das bei Südost zur Falle werden kann. Maria, die viel gelobte deutsche Hafenmeisterin ist nicht mehr da. Schlüssel für Wasser und Strom auf der Pier und Dusche und Toiletten in der nahen Taverne Rementzo. Endlich eine Nacht ohne Rattern und Klappern, Schlagen und Heulen. Aber warm ist's in den Kabinen, Sedat und Ulf schlafen draußen besser.
Die letzten drei Tage segeln wir entspannt nach Symi, klarieren dort ohne Agenten aus und in Bozburun mit Salih von Lodos Yachting ein (mit Euro 85 deutlich günstiger als die 200 Euro in Marmaris). Die Augusthitze hat uns wieder - Wind mehr oder weniger schwach bis mittel. Da wünscht sich mancher aus der Crew ein bisschen Karpathos zurück.
Fazit: Rauh aber herzlich! Die Menschen, die wir getroffen haben waren freundlich und hilfsbereit, Havariefischer Stamatis eingeschlossen. Aber der Wind war heftig und nervig. Wer plant Kap Horn zu umrunden, kann in den Meltemi-Monaten rund Karpathos dafür trainieren! In den 10 Tagen haben wir nur eine Segelyacht getroffen. Und kein einziges Mal Musik gehört - das Heulelied des Windes hat uns in den Schlaf gesungen, die Nacht über begleitet, am Morgen aufgeweckt und tagsüber auf die Ohren gedröhnt. Würde man mich fragen wo der Wind am stärksten war, ich würde keinen bestimmten Ort benennen können. Sondern nur sagen: überall. Ja, wirklich überall.
Törninfos:
Die Insel:
Karpathos ist 48 km lang und 12 km breit, an der schmalsten Stelle nur 3,5 km, aber sie hat es in sich. Der höchste Gipfel der Insel ragt wenig über 1200 Meter aus dem Meer und ist mit dem Attavyros auf Rhodos der höchste Berg der Dodekanes-Inseln. Die Nordküsten auf beiden Seiten sind extrem steil und rauh. Im Süden ist die Insel flacher, aber ebenfalls karg. An den Berghängen im Norden kleben kleine Dörfchen - aus Furcht vor Piraten dort oben schwer zugänglich erbaut. Massentourismus war vor Jahren noch ein Fremdwort auf der Insel, heute stehen klotzige Hotelanlagen an den Stränden im flacheren Südteil rund um den Flughafen. Gäbe es im Sommer weniger Wind und mehr geschützte Buchten, man könnte Karpathos als Segelrevier im Abseits empfehlen. So bleiben im Hochsommer leider nur Fährschiff und Flieger.
Pigadia
ist der Hauptort an der Südostküste der Insel. Bei heftigem Nordwest lagen wir mit starkem Druck auf die Fender längsseits relativ sicher an der Westseite im neuen kleinen Hafenbecken, "Marina" genannt. Man könnte auch an der inneren Mole der "Marina" festmachen; doch sind die Plätze meist von einheimischen Motorbooten und Fischern belegt. Von Pigadia kann man per Mietwagen die sehr attraktive Westküste von Karpathos' Süden erkunden.
Diafani
Bei ruhigem Wetter kann man längsseits auf der Innenseite des Fähranlegers festmachen. Vorausgesetzt man hat das Wetter im Blick, könnte man das Boot auch mal für einen Tag unbeaufsichtigt hier alleine lassen, wenn man einen Landausflug nach Olympos plant. Will man nur übernachten, kann man bei mäßiger (nord)westlicher Windlage auch gut am Kopf der kleinen Mole direkt vor dem Lokal von Popi liegen. Zwischen 10 und 17 Uhr macht öfter mal das Ausflugsboot aus Pigadia fest. Extreme NW-Winde sollte man besser vor Anker als am Kopf der kleinen Mole abwettern. Die Fallböen können verdammt heftig sein.
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