Vom Wind verweht (I)
Abenteuertörn nach Karpathos im August 2013
Udo Hinnerkopf & Sedat Akmese segelten mit der Sun Odyssey 49 ONEWAY und einer bewährten Crew zur windigsten Insel der Ägäis und sagt hinterher: „Einmal reicht!“
Dies war mein dritter Versuch die Insel zu umrunden. Zweimal waren wir schon gescheitert. Einmal Ende Mai 1999, da hatte uns ein spät im Frühjahr nicht mehr erwarteter Lodos aus Südost einen dicken Strich durch den schönen Plan gemacht. Und dann noch einmal 2005 im frühen Oktober, als ein viel zu früher Herbststurm aus der Sahara heftig gegen uns antobte. Die den Sturm beendende Gewitterfront hatte die Yacht mit rotem Wüstensand überzogen.
Auch Andreas Fritsch, Reiseredakteur der YACHT, hatte im letzten Frühjahr den Sprung auf die meerumspülte und Respekt einflößende Insel wegen eines extremen Südsturms abbrechen müssen (siehe YACHT 18/2012). Diesmal wollten wir schlauer sein und es mitten im Sommer wagen. Mit dem Meltemi die Westseite der Insel hinunter und auf der geschützteren Ostseite im Insellee zurück. So unser Plan. Doch es kam ganz anders.
Die Insel, die wir im Visier haben, heißt Karpathos und liegt wie ein spitzer scharfkantiger Granitkeil windumtost und abweisend in der südlichen Ostägäis, auf halbem Kurs zwischen Rhodos und Kreta. In der wenigen Literatur, die es über die Insel gibt, liest man Sätze wie "zerklüftete, wilde Berglandschaften" und "einsames Eiland in der Weite der Ägäis" oder "stark gebirgig und unerschlossen, wenig Straßen, dafür viele Wanderpfade". Andererseits gilt Karpathos auch heute noch in Griechenland als Metapher für das ursprüngliche Leben der Altvorderen, das zumindest in den Bergdörfern, vor allem in Olympos, noch zu erkunden und zu besichtigen sei. Strom, Telefon, Internet – das gäbe es inzwischen auch dort oben, aber noch nicht so lange wie auf den anderen Inseln der Ägäis. Die Bewohner seien noch traditionsbewusst und pflegten alte Bräuche, die im übrigen Griechenland längst vergessen seien, erinnern sich Mona und Ulf, die vor 20 Jahren schon mal auf der Insel waren.
Klar, dass wir dort hin wollen, nachdem vor allem an der türkischen Küste schon so viel vom ursprünglichen Brauchtum im Tourismus-Tsunami auf der Strecke geblieben ist.
Starthafen ist Marmaris, wo wir am 27. Juli die ONEWAY übernehmen, eine Sun Odyssey 49 mit besonderer Ausstattung für ONEWAY-Törns. Früh am Morgen um 8 Uhr legen wir am Ausklarierungssteg südlich der Netsel Marina an. Es soll schnell gehen, wir wollen los, alte Bergdörfer locken. Doch zunächst ist erstmal Gesichtskontrolle angesagt. Hintergrund: Eine Gruppe aus Zöllnern, Polizisten und Agenten hat im Frühjahr in Bodrum Transitlogs großer Motoryachten manipuliert und so mit verbilligtem Schiffsdiesel gehandelt; angeblich sitzen die Beteiligten hinter Schloss und Riegel. Die Behörden versuchen seitdem die Geschäftemacherei mit bürokratischen Restriktionen in den Griff zu bekommen und kontrollieren Yacht, Pass und Person beim Aus- oder Einklarieren akribisch.
Unser Problem ist außerdem, dass uns der Agent, der unsere Ausreise organisiert, nicht mitgeteilt hat, dass wir das Transitlog der letzten Einreise vorlegen müssen. Damit soll nachgewiesen werden, dass unsere Yacht nicht länger als die erlaubten 5 Jahre im Land ist. Nicht nur Privatyachten sind davon betroffen, sondern auch Charteryachten. Die Kontrollen sind seit diesem Jahr verschärft worden. Wer also ausklarieren will, sollte das alte Einklarierungs-Transitlog vorlegen oder zumindest den Einreisetermin benennen können, damit die Behörden diesen schneller in ihrer Datenbank finden. Endlich um 12:30 sind wir kontrolliert und durchgecheckt, und können ablegen.
Zwei segelbegeisterte Frauen und fünf gestandene Männer sind an Bord. Die Yacht hat vier Kabinen, Skipper Sedat und Mitsegler Ulf wollen draußen schlafen, beide wegen der frischen Luft versichern sie. Sie wissen nicht auf was sie sich einlassen.
Bei der zunehmenden Brise ist die Strecke nach Rhodos ein entspannter Einstieg. In der Einfahrt zum Mandraki Hafen werden wir schon winkend begrüßt. Nicolas von Kronos Yacht Agency weist uns den per Mail bestellten Liegeplatz an der Westseite des Hafenbeckens zu. Dort übernimmt er die Mappe mit den Schiffspapieren, den Pässen, der Versicherungspolice und dem griechischen Transitlog, das noch von einem früheren Törn an Bord ist, und radelt in Richtung Fährhafen, wo Zoll und Passpolizei ihre Büros haben. 185 Euro wird Kathrine, die Agenturchefin, am nächsten Tag dafür berechnen, einschließlich Liegeplatz im Hafen.
Die Nacht ist kurz, Rhodos lebendig wie eh und je, von der Krise ist nichts zu spüren. Im Gegenteil: Wir haben das Gefühl, die Stadt ist so gründlich von Touristen überflutet, dass es schwer ist einen Tisch für sieben Personen in einer Taverne zu finden. Ein neues Geschäftsmodell hat sich in den alten Gassen eingenistet: Die mit Blau- und Grünlicht ausgestatteten Fisch-Pediküre-Läden. Mona und Petra wollen es wissen und stecken ihre Füße in ein kleines Aquariumbecken. Sogleich schwirren winzige Saugbarben heran und knabbern an ihren Zehen und Fersen. "Das tut gut und die Haut wird zart und weich", schwärmen die beiden.
Die 32 Seemeilen an Rhodos Nordküste entlang nach Chalkis tun dem Bier im Kühlschrank gut, der Meltemi macht offenbar Pause. Das kann ja heiter werden: Kein Wind auf Karpathos! Der kleine Schwimmsteg im Inselhafen von Chalkis ist voll belegt, wir runden das Südkap und ankern für die Nacht in der ortsnahen Bucht ohne Namen unterhalb des Friedhofs.
Chalkis ist ein schöner Ort, manche Segler vergleichen ihn mit Symi. Die Häuser sind in ähnlichen Pastelltönen hell und einladend gestrichen. Der Hafen jedoch ist entschieden kleiner und wird weniger oft angelaufen, weil er zu sehr abseits der ausgefurchten Segelrouten liegt. Am nächsten Vormittag halten wir uns nicht lange auf, trinken noch schnell einen Frappè, den typischen griechischen Eiskaffee, und legen ab. Bis zur Nordspitze von Karpathos sind es gerade mal 29 Seemeilen, gut in einer entspannten Tagesetappe zu schaffen. Je weiter wir von Chalkis weg kommen und freien Seeraum gewinnen, desto mehr nimmt der Westwind zu und desto höher wird der Seegang. Der Tanz kann beginnen, erstes Karpathos-Feeling stellt sich ein. Ehe wir uns versehen müssen wir reffen, um den Druck vom Ruder zu nehmen. Noch ist das Leuchtfeuer auf der nördlich vorgelagerten kleineren Insel Saria unser Ziel. Wir wollen ja unbedingt an Karpathos' Westküste hinunter tanzen.
Doch je näher wir kommen, desto heftiger wird der Seegang und der Gedanke die ungeschützte 30 Seemeilen lange Legerwallküste an Karapathos' Westseite hinunter zu torkeln wird mehr und mehr zu einer ungemütlichen Vorstellung. Der gesamte Küstenabschnitt bietet keinen Schutz, er ist gegen alle Winde von Süd über West bis Nord total offen. Allenfalls bei Südostwind im Frühjahr oder Herbst könnte man hier vorübergehend in Deckung gehen. Nur die Bucht Tristomo an der Nordwestküste, von oben kommend gleich links rein, wäre ein sicherer Platz bei allen Windrichtungen. Doch ist die Einfahrt extrem schmal und wegen starker Brandung bei auflandigem Wind – den wir gerade haben – viel zu gefährlich.
Wir halten deshalb auf die Südseite von Saria zu. Vielleicht gibt es vor oder hinter der Passage zwischen beiden Inseln eine sichere Nische für die Nacht. Unter kleingerefftem Vorsegel schießen wir mit 8 Knoten nach Südwest und erreichen gegen 16 Uhr Kap Monaxios, wo die Passage am schmalsten ist und nur 3 m Wasser hat. Der Wind bläst vierkant heraus. Mit Maschine schieben wir uns durch die spektakuläre Durchfahrt. Kaum drüben angekommen müssen wir erkennen, dass die Bucht unmittelbar hinter der Passage, die nach Nordost in die Insel Saria einschneidet, keinen Schutz bei dem auflandigen Wind bietet. Zuviel Schwell und aufgepeitschte See. Westseite ade.
Zurück an die Ostseite. Ein Blick auf die Karte macht klar, dass es keinen sicheren Platz an der Ostseite der Pirateninsel Saria gibt – schon mal gar nicht bei den jetzt vorherrschenden extremen Fallwinden. 4 Seemeilen südlich dagegen liegt der kleine Fischerort Diafani. Mit ganz wenig Tuch halten wir auf die weiß getünchte Häusergruppe zu; zwei zerfallene Windmühlen über dem Ort und eine typische hellocker gestrichene orthodoxe Kirche sind gute Ansteuerungshilfen.
An der kurzen Mole direkt vor dem Ort liegen einige Fischerboote seitwärts und eine Yacht mit französischer Flagge an der Stirnseite. Etwas südlicher scheint die rechtwinklig abgeknickte Fährmole mehr Schutz zu bieten. Doch liegt dort ein Ausflugsschiff und einige größere Fischerboote. Ob heut Nacht – wie häufig in griechischen Inselhäfen – eine Fähre anlegt, ist unklar.
Wir ankern deshalb in gehörigen Abstand vor dem Ort. Zur Taverne zuckeln wir mit dem Außenborder, für's Rudern bläst der Wind zu stark. Zum imposant orangeleuchtenden Sonnenuntergang sitzt die Crew geschlossen in der Taverne Vasilis. "My name is Popi", stellt sich die junge Wirtin vor und bringt Bier, Retsina und die Speisekarte mit den bunten Fotos der Gerichte. Die Stimmung ist südländisch entspannt, der Wind hat von forte fortissimo auf fortissimo heruntergeschaltet...
"Hee, was macht denn der da?", ruft plötzlich Skipper Sedat, springt auf und deutet heftig gestikulierend in Richtung ONEWAY. Dort hält ein blau-weißes Fischerboot mit kräftigem Motorengebrumm direkt auf die ankernde Yachte zu. "Heehehee, der muss jetzt aber mal abdrehen!" kreucht er und rennt zum Strand. Da kracht es auch schon – durch den Aufprall wird die Yacht herumgerissen, das Fischerboot prallt ab und torkelt zurück. Sedat und ich rasen zum Dingi und fullspeed auf das Fischerboot zu, das zunächst noch immer schaukelnd auf der Stelle liegt, dann aber langsam zur Fährpier verholt. Dort hockt ein Mann in gelbem T-shirt, den Kopf in die Hände gestützt, zusammengesunken und total geschockt auf einem Netzberg, und stöhnt "sorry, sorry!" Er atmet tief und schwer und stammelt weiter immerzu nur "sorry, sorry!" Sein Kumpel, ein magere, haarsträhnige Rod Steward-Kopie, hat sich unter das Deckshaus verkrochen.
Um die Sache kurz zu machen: Gemeinsam mit Michalarias Stamatis, so heißt der Unglücks-Fischer, suchen wir die Hafenpolizei auf. Die Dorfbewohner haben vom Ufer aus den Vorfall beobachtet und begleiten Stamatis' Spießrutenlauf am Ufer entlang mit kritischen Worten. Er winkt entnervt ab, ist völlig neben sich.
Wir klingeln die beiden Polizisten von der abendlichen TV-Soap Opera heraus und setzen gemeinsam ein handgeschriebenes Schuldbekenntnis auf, dass der Sorrysorry-Fischer unterschreibt: Today, 30. July 2013 at 20:10 I damaged the german flag yacht ONEWAY with my fishingboat Vasilios 20. Unterschrift: Michalarias Stamatis. Tragischerweise hat der Mann keine Versicherung, was die Sache für ihn noch schlimmer machen wird.
Der Schaden ist erheblich: Der Bugkorb zertrümmert, die Ankerhalterung verzogen, drei Relingstützen total verbogen und aus dem Deck gerissen, Risse im Deck und erhebliche Gelcoatschäden an der Crashstelle. Und wie sich später heraus stellt hat auch die Reffanlage noch etwas abbekommen. Versicherer Pantaenius, per Mail informiert, teilt mailwendend am nächsten Morgen mit, der Mann müsse den Schaden komplett übernehmen oder man werde sein Boot konfiszieren. Mit Hilfe der Portpolice gelingt es schließlich den zerknirschten Stamatis das Versprechen zur Zahlung von 1000 Euro abzuringen. Im Fall erfolgter Zahlung verzichte Pantaenius auf weiteren Zugriff. Mail aus Hamburg.
Die müsse er erst bei Verwandten und Freunden einsammeln, stöhnt Stamatis, das ginge keinesfalls von heute auf morgen. Ein Richter aus Athen, der in Diafani Urlaub macht, mischt sich ein: Wir sollten das vergessen, wir könnten von Stamatis nichts holen, der lebe in Scheidung, habe fünf Kinder und das Boot gehöre nicht ihm, sondern einem Freund. "Der hat gerade mal 50 Euro in der Tasche, die könnt ihr haben, alles andere vergesst besser!" Außerdem sei nicht Stamatis gefahren, sondern sein Kumpel, und der sei von der Polizei. Außerdem habe die Yacht im Wind hin und her gedreht, deshalb sei der Unfall passiert – eigentlich seien wir daran Schuld.
Wir zeigen ihm Stamatis Schuldbekenntnis und verweisen auf die Portpolice, die ein Protokoll gleichen Inhalts erstellen werde. Zudem habe die Versicherung einen Anwalt in Athen, der notfalls eingeschaltet würde. Daraufhin zuckt der Undurchsichtige mit den Schulten und verschwindet.
Trotz Crash zieht es uns am nächsten Morgen nach Olympos, dem traditionellen Dorf in den Bergen. Nur der Skipper bleibt an Bord. Freunde hatten uns den Tipp gegeben den Ort per Fuß zu erwandern. Doch dazu war die Zeit zu knapp, wir nehmen ein Taxi. Hoch in den Bergen nach einer spitzen Kurve steigt der Fahrer plötzlich in die Bremsen. Der Ausblick ist gigantisch. Schneeweiß schmiegt sich das Dorf in die Senke zwischen zwei hohen Bergrücken. Der Blick wandert zur Westküste hinunter, wo es an diesem Morgen deutlich ruhiger ist als an der Ostküste, an der bereits seit 6 Uhr Fallwinde herunter fauchen. Im Ort angekommen stellen wir schnell fest, dass Gassen und Plätze von Touristen aus aller Welt erobert sind. Sie werden mit Bussen von Pigadia, dem Inselhafen im Süden, herauf bugsiert. Trotz Krise ist hier nach 10 Uhr quirlig was los. Vor den weißgetünchten Häusern locken weißhaarige Frauen, teils noch in alter Tracht, mit rauen Stimmen: "Come in, come in!" und bieten Zeug an, das wir in Rhodos und auf Symi schon gesehen haben.
Berühmt war die Insel mal für seine vielen, kleinen Windmühlen. Die Leute lebten autark, Fähren, die heute mehrmals wöchentlich aus Athen anlegen, gab es noch nicht. Jede größere Familie besaß Felder und eine eigene Windmühle mit kleinen, an den Wind angepassten Flügeln. Einem Führer, der eine Gruppe Berliner durch die schmalen Gassen schleust, lauschen wir ab: Noch heute betreibe eine Frau die Mühle ihrer Großmutter und backe das dunkle, für die Insel so typische Roggenbrot, das wir in Popis Taverne in Diafani schon genossen haben. Mona ist enttäuscht, so wie vor 20 Jahren sei es leider nicht mehr. Da gab es im Ort noch gelebtes Alt-Griechenland, traditionelles Handwerk, fast alle Frauen in ihrer eigenwilligen Tracht und Esel statt Autos. Davon ist nicht mehr viel zu sehen. Nur die weiß leuchtenden Häuser, die schmalen Gassen, Kirchlein und kleinen Plätze seien noch wie früher.
Mona will unbedingt den Schuster finden, der die berühmten Lederstiefel herstellt, die mit den rot leuchtenden Verzierungen. Sie kennt ihn von ihrem damaligen Besuch. "Weil die Hirten und Bauern sich damit im dornigen Gebüsch gegen Schlangenbisse schützten", schwärmt sie, "hätten die Stiefel besonders hohe Schäfte gehabt." Und für sicheren Tritt im rauen Gelände seien alte Autoreifen als Sohlen verwendet worden. Also, damit das klar sei, ohne diese Dinger wolle sie auf keinen Fall die Insel verlassen. Wir finden den Schuster, doch müssen die Stiefel anprobiert und maßgeschustert werden, das dauert. So muss Mona gegen Schlangenbisse ungeschützt Olympos verlassen.
Als wir wieder unten am Wasser sind, erfahren wir von Popi, dass der Schuhmacher einen Web-Radiosender gegründet habe, auf dem er Nachrichten und Musik von der Insel in alle Welt sendet. Ob es radioolympos.gr oder karpathosfm.com kann sie nicht sagen. Aus Not hatte es Anfang des letzten Jahrhunderts viele Inselbewohner nach Amerika verschlagen, andere nach Australien. Viele der Auswanderer kämen zu Hochzeiten oder auch nach ihrem Arbeitsleben zurück, um in der alten Heimat ihren Ruhestand zu verbringen. Damit die, die noch irgendwo in der Welt sind, den Kontakt zur Heimat nicht verlieren, sendet der Schuster der roten Schuhe über das Internet seine Botschaften. So hat auch diese traditionellste aller griechischen Inseln die Kurve gekratzt und den Anschluss an die schöne neue Welt gefunden.
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Panoramen von Karpathos: Windküste und Diafani und Pigadia und Olympos
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